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Moralischer Kompass

Stein des Anstosses

Heute habe ich einen Blogeintrag von einer Freundin gelesen, der mich zum Grübeln gebracht hat. In dem Artikel geht es um das Thema Fremdgehen (Artikel siehe hier). Was dieses Thema angeht, bin ich DER Exprerte. Einerseits bin ich in der bequemen Situation auf wenige, glückliche und langjährige Beziehungen, ohne Überraschungen, zurück blicken zu können. Andererseits halte ich mich mit Urteilen und Ratschägen des menschlichen Verhaltens betreffend so weit wie möglich zurück. Die wesentliche, und für mich gewissermassen erschreckende, Erkenntnis, nach dem Lesen des Artikels, jedoch war, dass mir mit meinen Ansichten offenbar jeglicher moralischer Kompass abhanden gekommen ist.

Meine moralische Prägung in einer Nussschale

Als gebürtiger Ungar war ich immer fasziniert davon, mit welcher devoten Reue Deutsche für die Schuld ihrer Eltern und Grosseltern den Kopf hinhalten. Als ich -kurz nach meiner Einbürgerung- bei der Bundeswehr als Rekrut eingerückt bin, hatte ich schulterlanges Haar und konnte kein Wort der Nationalhymne und mir war moralische Verantwortung kein Begriff. Gut zwanzig Jahre nach Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft -und der Aufgabe der Ungarischen-  hat sich die Situation etwas geändert. Es ist ein wenig schizophren. Zwar schäme ich mich heute für jede Schlagzeile in der internationalen Presse über den Orbanitarismus in Ungarn. Gleichzeitig fühle ich mich eher als Deutscher denn als Ungar, was Mentalität, Kultur, Geschichte und Identität betrifft. Ungar zu sein ohne Humor verbietet sich also offenbar per se. Deutscher zu sein mit einem Übermass an Humor ebenso (womöglich sogar noch offenbarer). Weder meine Objektivität noch meine Selbsterkenntnis gehen soweit, als dass ich das Ergebnis in Worte fassen könnte. Hier also ein Versuch:


Ökonomie des Fremdgehens

Vor meinem Hintergrund speziell, aber auch vor dem Hintergrund europäischen Versagens in Moralfragen in der Vergangenheit im Allgemeinen, verbietet es sich aus meiner Sicht, als Europäer Verhaltensratschläge, oder gar -vorgaben, auf Grundlage moralischer Bedenken zu geben. Es gibt jedoch einige rationale Aspekte scheinbar irrationalem Verhaltens.
Fremdgehen, also das Betrügen eines festen Partners, ist letzten Endes eine -bewusste oder unbewusste- Entscheidung. Entscheidungen folgen Motiven. Motive lassen sich auf Anreize zurück führen. Anreize wiederrum lassen sich quantifizieren und so vergleichbar machen.
Heutzutage gibt es eine regelrechte Industrie, die an dem Bedarf nach Seitensprügen gut verdient. Zahlreiche Vermittlungsbörsen, Etablissements, Veranstalter und Ähnliche, hätten einen eher schweren Stand, wenn Partnerschaften so fest und so beständig wären, wie gemeinhin behauptet wird. Der Glaube an die Unerschütterlichkeit und Prinzipientreue von Menschen dürfte also gewissermassen nicht mehr als eine Illusion sein. Wie sieht wohl der Business-Blueprint eines Internetportals aus, das sich nach eigenen Angaben zu der Spezialisierung auf Seitensprünge bekennt?

(Wann) Sollte man fremdgehen?

Zwei wesentliche Aspekte für einen Seitensprung sind ohne Zweifel das Risiko und der Erwartungswert -bzw. etwas konkreter: der Genuss- des Erlebnisses. 
Ein Risiko teilt sich in zwei Elemente: die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Zustandes und die Effekte des Zustandes bei Eintritt. Im Falle des Fremdgehens lässt sich das Risiko also im Wesentlichen in zwei Komponenten aufschlüsseln: die Wahrscheinlichkeit der Komporomittierung bzw. des Entdecktwerdens einerseits., sowie die 'Kosten einer Komprommitierung' andererseits. Da zum Fremdgehen in der Regel immer mindestens zwei gehören, ist das Risiko schon an sich ein interessanter Aspekt, denn hier ist auf Seiten des Betrügers häufig Vertrauen in die Integrität des bzw. der Komplizen gefragt. Im Wertpapiergeschäft würde man von einem Exposure, also einer Risikoaussetzung, sprechen. Exposure lässt sich durch intelligente Diversifizierung des Portfolios reduzieren, durch Verkauf sogar beseitigen. Diversifizierung von Beziehungen wäre im Falle einer monogamen Allgemeinheit schwierig und womöglich weitestgehend aufwändig, von der Problematik unter moralischen Aspekten ganz zu schweigen. Im monogamen Fall also gilt: Da das Risiko der Komprommittierung für den Rest der laufenden Beziehung fortbesteht, kämen zur Beendigung des Exposure ausschliesslich ein Geständniss -in der Hoffnung auf ein mildes Urteil- oder die Beendigung der Beziehung in Frage.
Der erwartete Genuss des Erlebnisses auf der anderen Seite stellt den Gewinn dar, der dem Risiko gegenübersteht. Sind Eintrittswahrscheinlichkeit und Kosten des Entecktwerdens gering, gleichzeitig die Anreize sehr hoch, wäre es demnach nicht rational, nicht fremd zu gehen. Umgekehrt würde wohl niemand erwägen, im gemeinsamen Schlafzimmer einen Seitensprung zu waagen, wenn der Partner nebenan kurz Zähne putzt, gesetzt der Annahme, dass beide Partner der Beziehung einen hohen Wert beimessen.
An der Stelle weise ich ausdrücklich darauf hin, dass Empathie und moralische Aspekte keine rationalen Motivatoren sind. Ökonomie ist seit Adam Smith vom Egoismus geprägt, also findet in unserem Kalkül die Gefühlswelt des Partners keine Erwägung - ja Kinder, nicht nur Männer, sondern insbesondere Ökonomen sind Schweine ... manchmal :-)

Was tun, wenn es passiert ist?

Die vielleicht wichtigere Frage, als die Entscheidung zum Fremdgehen, ist, wie sich der Betrogene verhalten sollte. Sollte man dem Gebot christlicher Nächstenliebe und Vergebung folgen, oder pauschal den Stecker ziehen? Schwierig. Allerdings nicht unmöglich. Auch hier kann ökonomisches Kalkül helfen. Letzten Endes hängt die Entscheidung zur Fortsetzung oder Beendigung der Beziehung zum Betrüger aus sicht des Betrogenen vom Glauben an eine Prognose ab. Nämlich der Prognose auf das Fortbestehen des Vertrauensverhältnisses zwischen den Partnern in Relation mit der Prognose auf eine mögliche Alternative, z.B. ein vorübergehndes oder permanentes Single-Leben, eine neue Beziehung, eine Ersatzbefriedigung, etc.. Prognosen sind immer schwierig denn sie haben meistens die Eigenschaft nicht in Erfüllung zu gehen. Es geht hier also nicht vorwiegend um die -Qualität der- Prognose selbst, sondern tatsächlich um die Bereitschaft dieser Prognose Glauben zu schenken.
Im Prinzip lässt sich diese Entscheidung ebenfalls auf ein Kosten-/Nutzen Kalkül zurückführen. Der Status Quo hat einen Wert, der für den Betrogenen geringer ist, als der Status vor dem Bekanntwerden des Betrugs. Erste Frage ist, wie viel geringer der Status Quo tatsächlich ist. Wird die Kränkung tief empfunden? Haben womöglich Dritte Wissen vom Vertrauensbruch erlangt? Natürlich liegt es in der Natur der Sache, dass mindestens ein Dritter vom Betrug ebenfalls weiss. Die Prognose bewertet mögliche zukünftige Stati jeweils mit einer Eintrittswahrscheinlichkeit und einem Erwartungswert. Rein statistisch betrachtet wird eine lange Beziehung einen Seitentsprung womöglich besser verkraften, als eine Beziehung, die erst frisch ist, weil dieser Seitensprung in der Prognose als 'Ausnahme' zählt und eher vernachlässigt wird. In einer erst frischen Beziehung wird die Prognose dieses Ereignis womöglich nicht als 'Ausnahme' werten. Zudem wird die Martkaustrittsbarriere in einer langen Beziehung womöglich höher sein (gemeinsame Wohnung, gemeinsames Eigentum, gemeinsame Kinder, etc.), als in einer jungen Beziehung ohne jegliche Hürden zur Beendigung. In einer Studie habe ich mal gelesen, dass Männer eine Scheidung von der Wertigkeit in etwa so bewerten, wie den Verzicht auf ein Jahresgehalt.

So könnte man womöglich noch Seitenlang weiter argumentieren und weitere Aspekte auslechten. Letzten Endes wird es auf die gleichen zwei Sachen ankommen, sowohl bei der Entscheidung zum Fremdgehen, als auch bei der Entscheidung zur Reaktion als Betrogener: Einerseits wird man sich bemühen das Risiko für die Zukunft zu minimieren, oder gar zu eliminieren. Gleichzeitig dürfte es wohl als rational gelten gleichzeitig das eigene Glück zu maximieren. 

Das Lottospiel des Fremdgehens

Wenn man unbedingt Glücksspiel betreiben will, sollte man sich wenigstens eines aussuchen, bei dem die Gewinnerwartung im Vergleich zum Einsatz maximal ist, also das Verlustrisiko minimal ist. Lottospiel hat eine statistische Gewinnchance von etwa eins zu 140 Millionen - das Verlustrisiko also entsprechend hoch. Es gibt Spiele, die fairer und rentabler sind als Lotto. Sollte man sich dennoch für Lotto entscheiden, sollte man eines bedenken: Die Statistik ist eine Invariante, lässt sich also nicht beeinflussen. Was man jedoch beeinflussen kann, ist der Erwartungswert, also im Lottobeispiel, die Höhe des Gewinns im Jackpot.

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